Was ist Yoga?
Ein historischer Überblick
Hinter Yoga steckt eine jahrtausendalte Tradition, deren Wurzeln tief in der indischen Geschichte verankert sind. Dennoch hat es an Aktualität nichts eingebüßt.
Das Wort YOGA ist ein Nomen aus dem Sanskrit und leitet sich von der Verbwurzel „yuj“ ab, was in der Urbedeutung so viel wie „anjochen“, „vor ein Gespann spannen“, aber ebenso viel wie „zusammenführen“ und „VERBINDEN“ bedeutet.
Yoga hat seinen Ursprung in Indien im Buddhismus und Hinduismus, hier sind Religion und Yoga eng miteinander verbunden. Aber Yoga ist keine Religion, sondern eine philosophische Weltanschauung, man kann es fast als LIFESTYLE bezeichnen. „Yoga fordert nicht auf, an irgendetwas zu glauben. Yoga sagt: Erfahre! - Yoga ist kein Glaube. Es ist Eindringen in die eigene Existenz.“ (Osho, 1931-1990).
Jeder kann unabhängig von seinem Glauben Yoga praktizieren. Deswegen kann auch hier jeder seinen eigenen Weg wählen. Yoga ist eine philosophische Lehre, die alle Lebensbereiche einschließt. Sie gibt Hinweise zur Körperreinigung, Körperpflege, zur Persönlichkeitsentwicklung, zur Ernährung und zum Umgang mit anderen Menschen. Somit ist Yoga eine übergreifende Lebensphilosophie!
In Indien ist Yoga seit mehr als 3.000 Jahren bekannt. Zunächst galt Yoga als Geistesdisziplin, mit dem Ziel, die Sinne unter Kontrolle zu halten und damit den Körper zu beherrschen. Yoga war ein spiritueller geistiger Pfad, der den großen Sinnfragen der Menschheit nachgeht. Ursprünglich war Meditation das Mittel der Erleuchtung und die asketisch Meditierenden saßen oft stunden- bzw. tagelang an einer Stelle. Das wichtigste Ziel der Uryogis aus vorvedischer Zeit war es, die schweifenden Gedanken zu bündeln und das Denken auf göttliche Mächte zu lenken. Sie glaubten im Meditationen ein unbewegliches und unzerstörbares Kernwesen im Inneren des Menschen entdecken und erfahren zu können: Purusha. Der Atem, Prana, erfuhr schon früh eine hohe Bedeutung und galt als „göttlicher Hauch“ und Urkraft. Um den Atem zu beherrschen, entwickelten die Uryogis schon sehr früh erste Atemtechniken.
Die yogische Weltanschauung entwickelte sich auf der Grundlage von 3 alt-indischen Schriften: Der Bhagavadgita, dem Yogasutra von Patanjali und der Hatha Yoga Pradipika. Im Verlauf der Jahrtausende haben sich 3 große Traditionslinien im Yoga aus unterschiedlichen
Grundlagentexten entwickelt:
1. Der religiös geprägte Yoga basiert auf den Upanishaden, einer Textsammlung aus der Zeit um 700 vor Christi, in der die Essenz der Veden, das sind altindische Schriften zu Religion, Gebräuche und Philosophie, festgehalten, diskutiert und kommentiert wurde. Im Vedismus galt das besondere Interesse der Suche nach der Erkenntnis über die Herkunft des Menschen sowie nach dem Sinn des Lebens. In der Heiligen Schrift Bhagavad-Gita spricht Krishna zu Ajurna: Samatvam Yoga uchyate“, was so viel bedeutet wie: „Yoga ist Gleichmut.“ Yoga lehrte uns folglich, immer gleicher Stimmung zu sein und uns von den Ereignissen im Außen nicht aus der Bahn werfen zu lassen, sondern sie alle, jedweder Art sie auch sein mögen, in Neutralität, Ruhe und Ausgeglichenheit anzunehmen. Dr Mishra, mein erster Lehrer, sagt: es geht darum, jeden Tag zu handeln, in jedem Moment des Alltags, und das im Hinblick auf das Karma so gut und bewusst wie möglich. Wenn dein Mann in absoluter Hingabe und Perfektion ein Leibgericht zaubert, dann ist das auch Yoga.
2. Der klassisch philosophische Yoga basiert auf Patanjalis Yoga Sutras (entstanden in der Zeit ca. 200 vor bis 200 nach Chr.). Wörtlich übersetzt bedeutet Sutra „Faden“. Das Yoga Sutra versteht sich deshalb als ein „Leitfaden für Yoga“. Maharishi Patanjali verfasste 195 außerordentlich kurze in Sanskrit geschriebene Sutras, also Sätze (spirituelle Merksätze zum Rezitieren spiritueller Weisheiten), die u.a. das Wesen unserer Gedanken erklären. Auf Bildern wird sein Unterkörper als eingerollter Schlangenkörper dargestellt und über seinen Kopf ragt eine vierköpfige Schlange. Patanjali - eine Legende? Das Yoga Sutra des Patanjali behandelt keine religiösen Konzepte: Weder die Wiedergeburt noch die Reinkarnation spielen in den Darlegungen Patanajalis eine Rolle. Auch die Frage nach dem Glauben an Gott wird im Yoga Sutra sehr offen behandelt. Ein solcher Glaube wäre im Hinduismus beispielsweise eine Voraussetzung für alles Weitere. Das bestätigt erneut: Yoga ist keine Religion, sondern eine Weltanschauung! Das Yoga Sutra hat mit seiner tiefen Spiritualität und einfachen Klarheit bis heute alle Weisheitslehren, den Buddhismus eingeschlossen, inspiriert. Denn in diesem einzigartigen Werk des Patanjali steht der Geist im Vordergrund. Im Yoga Sutra, Vers 1.2. sagt Patanjali „Yogas citta vrtti nirodhah“, was u.a. soviel bedeutet wie: „die Muster des Bewusstseins zum Stillstand zu bringen, das ist Yoga“ Diese Interpretation nannte mitr mein erster Yogalehrer Dr Mishra. Sie ist nicht so krass wie folgende Interpretation: Yoga ist das Abschneiden aller Bewegungen des Geistes. Dieser Interpretation zufolge wären allerdings unser Körper und unser Geist Störfaktoren. Die Asana- Praxis wäre kontraproduktiv, da jede Bewegung zu viele Sinneseindrücke produziert, die nach dieser Interpretation unerwünscht wären. Wen würde es nach dieser Interpretation wundern, wenn Yoga als Unterdrückung einer wichtigen Lebensfunktion, vielleicht als Abkehr vom Leben überhaupt missverstanden würde? Dem Verständnis nach T.Krishnamacharya ist „Yoga die Fähigkeit, sich ausschließlich auf einen Gegenstand, einer Frage oder einen anderen Inhalt auszurichten und in dieser Ausrichtung ohne Ablenkung zu verweilen.“ Sein Sohn T.K.V Desikachar drückt es so aus, dass es im Yoga darum gehe, jene Ressourcen in unserem Geist zu entwickeln, die ihn zu einem großartigen Werkzeug für unsere Wahrnehmung, für unsere Suche nach Glück, Zufriedenheit und spiritueller Erfahrung Ein durch Yoga entwickelter du gereinigter Geist kommt durch diese Betrachtung alsso grosse Wertschätzung zu. Weder Körper noch Geist seien hier nach Störfaktoren, deren Aktivitäten abzutöten sind. Nein: Nach Krishanamacharya und seinem Sohn geht es um die Veränderung unseres oft unruhigen Geistes, dessen Gedanken wie ein Äffchen ständig herumspringen, zu mehr Klarheit und Freiheit!! In Anlehnung an Krishnamacharyas Interpretation heisst es im Kapitel 1.12: ahyasa- vairagya-abhyam tan-nirodhah“: Durch beharrliches Üben auf der einen Seite und durch die Fähigkeit des Loslassens auf der anderen kann unser Geist den Zustand von Yoga erreichen. In der Balance aus Abhyasa = Beharrlichkeit und Vairagya= Gelassenheit können wir uns dem Zustand des Yoga mit Glück, Zufriedenheit und körperlichem Wohlbefinden zumindest annähern. Manchen Menschen fehlt es an Beharrlichkeit, bei ihnen ist Loslassen nicht das Problem, am Ball bleiben schon eher. Ein einheitliches Übersetzen ist bei der Ansammlung von 195 Überschriften schwierig, da der Inhalt der Überschriften den Schülern damals 1:1 mündlich vermittelt wurde und selbst die Sanskritwörter in den Überschriften haben zum Teil entgegengesetzte Bedeutungen. Wir halten uns an die Übersetzung von Krishnamacharya, denn demit ergibt unsere auch körperorientierte Praxis erst richtig Sinn.
3. Die Hatha Yoga Pradipika entstand 800-1200 nach Chr. Sie ist gewissermaßen ein Praxishandbuch zu Patanjalis Sutras. In ihr werden Körperpraktiken beschrieben, durch die der Körper als Werkzeug auf dem Weg zur Erkenntnis eingesetzt werden kann.
Auf der Grundlage der Bhagavadgita, Patanjalis Yoga Sutras und der Hatha Yoga Pradipika entwickelten sich alle zentralen Konzepte der Yoga-Weltanschauung. Selbst alle späteren Werke zum Yoga finden hier in der einen oder anderen Weise ihre Wurzeln. Unsere heutige
Yogapraxis verbindet häufig eine oder mehrere Traditionslinien. Aus spiritueller Sicht geht es beim Yoga um die Verbindung, um das Einssein des individuellen mit dem universellen Bewusstsein.
Das Yoga Sutra von Patanjali bildet die klassische Grundlage für den Königsweg Ashtanga Yoga = Raja Yoga, was übersetzt „acht-stufiger Pfad“ bedeutet. Es ist als praktischer Leitfaden zu innerer Freiheit zu verstehen und gilt als „Yogabibel“. Das Acht-Stufen-System zeigt den Weg der Entwicklung eines Menschen von einer niedrigen Stufe zu einer höheren bis hin zur Selbstverwirklichung und Befreiung = Moksha.
Körperorientiertes Yoga stand damals nicht im Fokus. Der Körper wurde als notwendige Hülle angesehen und die Klärung des Geistes stand im Vordergrund. Der Körper sollte zu beherrschen sein. Motto: Der physische Körper (Annamaya Kosha) diene gewissermaßen als „Fahrzeug“ für unseren Geist und unsere Seele. Wir sollten unser Auto in Ordnung halten.
Ist der Körper beherrschbar, gehen wir weiter nach innen und gelangen zu immer feinstofflicheren Hüllen. Über den Atem (Pranayama Kosha = Energiehülle), den Geist (Manomaya Kosha = Gedankenhülle) bis hin zu den Emotionen/Psyche (Vijnanamaya Kosha = Hülle der Intuition). Wenn diese ersten vier Hüllen gut genährt sind, dann ruhen wir in uns, im Sein. Wir erfahren Mitgefühl, Toleranz und eine Einheit mit allem, was ist. Im fünften Körper der Glückseligkeit (Ananadamaya Kosha) erfahren wir den Glanz unserer Seele. An diesem Punkt spüre der Mensch wahre Spiritualität, er erkenne sich selbst und seine Göttlichkeit. Körper und Geist bilden zusammen den Ort, an dem unsere Seele wohnt. Dieser Ort solle besonders gereinigt und gepflegt werden, damit unsere Seele dort auch einziehen mag, so die Weltanschauung. Die ursprüngliche Form von Yoga ist also eine vollständige Wissenschaft vom Leben. Es ist das älteste und umfangreichste System der Welt, das detaillierte Anweisungen zu allen Aspekten des Lebens gibt, um im Einklang von Geist und Seele zu leben, ohne dabei eine Religion zu sein.
Die Hinwendung zum Körper haben wir den Tantrikern im 5. bis 7. Jh. n.Chr. zu verdanken. Die Tantriker glaubten, dass ihr Körper das ganze Universum beinhalte (Chakra-Lehre). Um Geist und Körper gesund sowie vital zu halten, entwickelten sie Reinigungsübungen (Kriyas), Körperübungen (Asanas), Fingersysteme (Mudras) und Atemübungen (Pranayama). Die unterdrückte Frau wurde in der Öffentlichkeit aufgewertet, da sie als Göttin verehrt und so zur Urkraft des Universums erhoben wurde. In tantrischen Kreisen durfte Yoga von Frauen praktiziert werden. Aus dieser Zeit stammt u.a. auch die Hatha Yoga Pradipika. Diese Urschrift des Hatha Yoga bildet die Wurzeln des heute verbreiteten körperorientierten Yogaweges.
„Unser Schicksal hängt nicht von den Sternen ab, sondern von unserem Handeln.“